Archivbild: Norman Finkelstein
2014 bei einer Demonstration gegen den Gaza-Krieg vor der israelischen
Botschaft in New York.(Foto: imago/ZUMA Press)
Das Hallenser
Max-Planck-Institut gab dem umstrittenen US-Politologen Norman Finkelstein ein
Podium. Die Grünen haken bei der Bundesregierung nach.
Von Oliver Das Gupta
Ende Januar war der der
US-Politologe Norman Finkelstein am Max-Planck-Institut für ethnologische
Forschung (MPI) in Halle an der Saale zu Gast. Ein Vorgang, der zum Politikum
geworden ist. Ein Politikum, das nun auch den Bundestag beschäftigt.
Denn in einer kleinen Anfrage
der Grünen-Fraktion an die Bundesregierung, die der Süddeutschen Zeitung
vorliegt, wird die Informationspolitik des MPI zu Finkelstein thematisiert.
Doch dazu später.
“Es gibt keinen Traum mehr”
Zuerst sei erklärt, warum der
Amerikaner so polarisiert: Finkelstein macht keinen Hehl daraus, wie tief seine
Abneigung gegen den Staat Israel
sitzt, den er auch als “Monster” bezeichnet. Verständnis zeigte er für Hamas
und Hisbollah, islamistische Terrorgruppen, die Israel vernichten wollen.
Bekannt wurde er durch sein Buch “Die Holocaust-Industrie”. Darin bezweifelt
Finkelstein unter anderem die Einzigartigkeit der Vernichtung der Juden Europas
durch Nazi-Deutschland. Jüdischen Organisationen wirft er außerdem mit Hilfe
von teilweise widerlegten Fakten vor, die Schoah auszuschlachten. Finkelstein
zeichnet das Zerrbild vom angeblich geldgierigen Juden – ein typisch
antisemitisches Stereotyp.
Weil Finkelstein selbst
Nachkomme von Holocaust-Überlebenden ist, bekommt er in rechtsextremen Kreisen
besonders großen Beifall für seine Thesen. Der wissenschaftliche Anspruch von
Finkelstein und seinen Publikationen wird allerdings immer wieder in Frage
gestellt. Es gibt aber auch namhafte Wissenschaftler, die manche von
Finkelsteins Arbeiten loben.
MPI-Direktorin Foblets
verteidigt den Auftritt
Für viele Juden und Nichtjuden,
auch für solche, die die konfrontative Palästinenser-Politik der aktuellen
israelischen Regierung infrage stellen, ist Finkelstein ein rotes Tuch. Sein
neues Buch behandelt ein heikles Thema: den Krieg im Gaza-Streifen 2014, der
etwa 70 Israelis und 2100 Palästinenser das Leben kostete. Der Titel des Buches
zeigt einmal mehr, dass bei Finkelstein die Übergänge zwischen Wissenschaft und
Aktivismus fließend sind: “Gaza: An inquest to its martyrdom”, zu Deutsch:
“Gaza: eine Untersuchung seines Martyriums”.
Für das MPI Halle war
Finkelstein gerade wegen seiner kontroversen Standpunkte ein interessanter
Gesprächspartner, wie Direktorin Marie-Claire Foblets der SZ schriftlich
begründet. Das Mandat ihres Instituts bestehe darin, zukünftige Wissenschaftler
zu schulen, schreibt Foblets, sie müssten lernen, sich andere Positionen zu
erschließen. Dies sei “vor allem von Bedeutung, wenn sie später als
Sachverständige national wie international tätig werden. Für die Ausbildung,
die wir unseren Doktoranden anbieten, heißt das: umso ‘schwieriger’ der Gegner,
umso besser”, schreibt Foblets.
“Musste das sein? Ist das
vom Institut autorisiert”?
Darum also lud das
Max-Planck-Institut Finkelstein im Januar für zwei Veranstaltungen nach Halle
ein. Allerdings betrieb es dabei eine Informationspolitik, die für Irritationen
sorgte. An diesem Punkt setzt die Kleine Anfrage der
Grünen-Bundestagsfraktion an.
Bei der Kommunikation des MPI
über die Finkelstein-Visite gebe es “eine Reihe von Ungereimtheiten und
Widersprüchen, die bei den Fragestellern Zweifel an wissenschaftlicher
Haltbarkeit, Wahrhaftigkeit und Transparenz aufkommen lassen”, heißt es in dem
Papier. Unter anderem wird dem MPI vorgeworfen, die ursprünglich öffentliche
Einladung zum Finkelstein-Auftritt im Nachhinein als interne Veranstaltung
deklariert zu haben.
Besonders heikel ist der Text
eines Plakats, mit dem das MPI im Januar für Finkelsteins Workshop geworben
hatte. Bei der Ankündigung, die Finkelstein auch zwischenzeitlich auf seiner
Homepage präsentiert hatte, wurde in englischer Sprache das Thema
detailliert beschrieben.
In dem Plakattext sind
Behauptungen enthalten, die nicht der Wahrheit entsprechen: So heißt es etwa,
die Bevölkerungsdichte im Gaza-Streifen sei höher als die Tokios. Oder: Die
radikalislamische Hamas habe 2014 keine Raketen auf Israel abgeschossen. Oder:
Es habe keine für Angriffe gegrabenen Tunnel vom Gazastreifen auf israelisches
Territorium gegeben. Das Gegenteil ist das Fall. All das steht unter dem Logo
des Max-Planck-Instituts, das großteils von Bund und Ländern
finanziert wird.
Solche Behauptungen sorgen auch
beim Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft für Aufregung, wie aus der
Grünen-Anfrage hervorgeht. “Offen gesagt weiß ich nicht, wie wir mit diesem
Flyer in einen öffentlichen Disput gehen können”, schrieb Martin Stratmann am 23.
Januar dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Volker Beck, der die
Anfrage mit auf den Weg gebracht hatte. Stratmann fügte hinzu: “Musste das
sein? Ist das vom Institut autorisiert oder von Herrn
Finkelstein lanciert?”
Tatsächlich schrieb Finkelstein
den Text selbst über sich in der dritten Person, wie MPI-Direktorin Foblets
erklärt. Dabei kam es von MPI-Seite zu einem Fehler: Man müsse einräumen, dass
eine “Prüfung” des “Textes unterblieben” sei und so der Eindruck entstehen
konnte, das MPI vertrete Finkelsteins Thesen. “Ich möchte betonen, dass wir
diese Darstellung nicht teilen”, so Foblets. Auch für Finkelstein persönlich
gab es entsprechenden Gegenwind: “Im Rahmen des Workshops ist das von den
Studenten ganz deutlich kritisiert worden”, schreibt die Direktorin. Der
Workshop sei allerdings “intensiv und hoch spannend” gewesen.
Die Direktorin, die in ihrer
belgischen Heimat bereits vor Jahren Finkelstein zu einer Veranstaltung
eingeladen hat, ist von der Kritik überrascht; sie “verwehrt” sich gegen den
Versuch, den Auftritt in Halle zu politisieren. “Wenn wir bei unseren
Einladungen bestimmte Wissenschaftler aufgrund ihrer politischen oder
ideologischen Positionen ausschließen würden, würden wir den Status eines
wissenschaftlichen Forschungsinstituts nicht verdienen.”
Hält die Regierung
Finkelstein für einen ernstzunehmenden Wissenschaftler?
Auch an diesem Punkt setzt
allerdings die Grünen-Anfrage an. Die Abgeordneten klopfen bei der
Bundesregierung ab, inwiefern es sich bei der Einladung Finkelsteins um einen
“wissenschaftlich begründeten oder begründbaren Vorgang” handelte. Aus der
Antwort könnte hervorgehen, ob die Bundesregierung Norman Finkelstein für einen
ernstzunehmenden Wissenschaftler hält – oder nicht.
Finkelstein selbst behauptet,
inzwischen politisch gemäßigt zu sein. “Ich selbst sehe mich (…) nicht mehr als
radikal oder kontrovers an”, sagte er der Mitteldeutschen Zeitung
während seines Besuchs in Sachsen-Anhalt, “ich bin heute in der Mitte des
politischen Spektrums”.
Die falschen Angaben, die er
dem MPI zum Gaza-Krieg untergejubelt hat, lassen an einer
Mäßigung zweifeln.
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